Wirkung braucht Hingabe
Hingabe – ein schönes, ich finde leider viel zu selten genutztes Wort. Hingabe heißt, sich einzulassen. Mit Haut und Haar, mit Herz und Verstand. Wer sich hingibt, lässt sich mitreißen. Dann ist nicht nur der Blick, sondern dann sind alle Sinne auf die eine Sache gerichtet! Und zwar ganz von alleine! Wer sich hingibt ist im Jetzt, bündelt seine Energie im Augenblick. Vergisst das drumherum – so wie ich die kalt gewordenen Füße, während ich diesen Text geschrieben habe. In der Haltung der Hingabe sind Denken, Fühlen und Handeln im Einklang – Vergangenheit und Zukunft sind im Moment der Hingabe außen vor. Wer sich hingibt, ist so ganz bei sich, bei seinem “Ding”. Paradoxer Weise ist gerade dieses ansteckend und zieht andere in den Bann. Aber:
Hingabe, Begeisterung zu wollen, geht genauso wenig wie Schlafen wollen!
Hingabe und Begeisterung lässt sich nicht erzwingen. Und doch können wir dafür den Boden bereiten. Wir können uns für Formen der Kommunikation entscheiden, die Hingabe und Begeisterung ermöglichen. Nicht nur für den einen, der vorne steht, sondern für möglichst alle. So eine Kommunikationskultur ist der Gegenpol zu einer “Um-Zu-Kultur”, also einer Haltung, in der Menschen nur deshalb etwas tun, um etwas Bestimmtes zu erreichen.
Dazu zwei Beispiele. Ein Skispringer wird nur dann einen perfekten Sprung zeigen, wenn er ganz bei der Sache ist und nicht während des Sprungs an den Applaus auf dem Siegertreppchen denkt. Am Beispiel des Skispringers erkennt man, dass Hingabe auch Mut erfordert. Wer sich vom Absprungbalken abstößt, muss seinen Sprung hingebungsvoll durchziehen! Auch ein Konzert reißt uns nur dann wirklich mit, wenn die Künstler ganz eins mit Ihrer Kunst sind – und nicht währenddessen ihre Wirkung auf das Publikum reflektieren.
Eine Behauptung: Visualisieren fordert und fördert Hingabe.
Wenn wir visualisieren, sind Kopf und Hand automatisch synchronisiert. Jeder Gedanke in unserem Kopf findet Ausdruck über die Bewegung unserer Hand mit dem Stift und zeigt sich im Entstehen des Bildes. Dieses äußere Bild lässt wiederum ein synchrones Bild in den Köpfen unserer Teilnehmer entstehen. So synchronisieren sich über die Visualisierung Gedanken – und zwar in jedem Moment. Hier passiert Spannendes. Nicht ein interpretierbarer Gedanke wird diskutiert, sondern ein konkretes Bild. Das regt zu Fragen an: Ist dieses Bild wirklich treffend? Wie könnte eine Situation oder ein Prozess noch klarer dargestellt werden. Dazu ein Praxisbeispiel: Um die Kollaboration und den Austausch zwischen Abteilungen darzustellen visualisierte ich einen Steg, der vom Land zum Boot führt. Der Ankommende wird von der Besatzung mit Handschlag begrüßt. In der Diskussion aber wurde schnell klar. Der Steg muss breiter werden. Denn es müssen zeitgleich Menschen von Bord gehen und freundschaftlich verabschiedet werden können. Dieses neue Bild vermittelt den Sachverhalt besser. So wird eine Visualisierung zum virtuellen Spielfeld für “echte” Erfahrungen. Jede Visualisierung kann solange justiert werden, bis das Bild stimmig ist. Das nicht Fertige, das Prozesshafte ist der Mehrwert.
Deshalb wird die Wirkung beim Visualisieren noch größer, wenn Teilnehmer selbst den Stift in die Hand nehmen und am gemeinsamen Bild mitarbeiten. So bringen sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen aktiv und nicht nur mündlich in diese “Schatzkarte” für neues Wissen ein. So wird die Schatzkarte genauer und genauer werden – eine gute Basis dafür, um auf der gemeinsamen Entdeckungsfahrt noch mehr Schätze zu finden und zu heben.
Wenn wir visualisieren füllen wir nicht Köpfe mit Informationen, sondern inspirieren zu einer Entdeckungsfahrt.
Die Neurowissenschaft heute weiß, dass gerade Begeisterung und Hingabe der Dünger für unser Gehirn, für neue neuronale Verschaltungen sind. Begeisterung und Hingabe schütten genau die Botenstoffe aus, die unser Großhirn zur Entwicklung benötigt. Der Hirnforscher Dr. Gerald Hüther sagt:
Das Allerwichtigste, das ein Mensch besitzt, und das die Voraussetzung ist, dass er viel lernt und sich später im Leben zurechtfindet, ist die angeborene Lust am Entdecken und am gemeinsamen Gestalten.
Aktiv werden statt passiv bleiben
Es heißt “Lust am Entdecken und gemeinsamen Gestalten.” Wie oft reden wir aber von Lust im Sinne von Bock haben auf Ablenkung, Zertreuung und Konsum. Es geht nicht darum diese Form der Lust abzuwerten oder zu verurteilen – aber es ist etwas anderes, als die Lust aktiv zu werden – aktiv, mit Mut zur Hingabe.
So ist Visualisierung eine Form der slow communication.